Offener Brief zum Fracking-Gesetzesentwurf und zu mangelnder Vorsorge im Gesundheitsschutz
Sehr geehrte Frau Ministerin Hendricks,
nachdem wir als „Gemeinnütziges Netzwerk für Umweltkranke“, GENUK e.V., maßgeblich zur Aufdeckung der erschreckenden Verdoppelung der Lymphdrüsenkrebs-Rate bei Männern in der Samtgemeinde Bothel(„Auswertung des EKN zur Häufigkeit von Krebsneuerkrankungen in der Samtgemeinde Bothel“), in einem Kerngebiet der niedersächsischen Erdgasförderung beigetragen haben, sind wir über einige Ihrer öffentlichen Äußerungen zum Fracking-Gesetzentwurf äußerst befremdet. Auf die Frage einer WAZ-Journalistin „Warum verbietet man eine so riskante Technik nicht einfach?“ lautete Ihre Antwort: „Es gibt so was wie eine Wissenschafts- und Gewerbefreiheit. Wir können nicht alles verbieten, was potenziell gefährlich ist, dann müssten wir ja auch das Autofahren verbieten“. Am 23.03.2015 wiederholen Sie dieses Argument (Morgenmagazin) und fügten hinzu: „Wenn wir jede abstrakte Gefährdung grundsätzlich vollständig verbieten würden, würden wir nicht vor dem Bundesverfassungsgericht durchkommen“
Die Frage muss in diesem Kontext erlaubt sein, ob unter „Gewerbefreiheit“ zu verstehen ist, dass die Wirtschaft, von der Kontrolle des Staates unbehelligt, hochtoxische Gefahrstoffe emittieren darf, die die Gesundheit der Menschen und unsere Umwelt nachhaltig und irreversibel schädigen? Ebenso sei die Frage erlaubt, warum diese Vorhaben der Wirtschaft noch mit Steuergeldern für „Forschungszwecke“ öffentlich unterstützt werden. Da auch neuere Gutachten (Zittel für Energy Watchgroup, 2015) von einer wirtschaftlichen Ausbeutung der offenbar doch geringen Vorkommen in Deutschland abraten, fragt man sich doch, in welchem Verhältnis der Nutzen zu den enormen und langfristigen Belastungen für Umwelt und Gesundheit steht.
In dem vorliegenden Fracking-Gesetzentwurf (BMUB WR I 2 – 21111/8 Stand: 19.03.2015) wird die Gesundheit einzig an 2 Stellen und nur beiläufig erwähnt (S. 2, S. 35). Auf Seite 35 heißt es: „Hiernach sind Gefahren für die menschliche Gesundheit zu vermeiden“. Mehr als eine unspezifische, somit auslegbare und unkonkrete Bedeutung misst dieser Gesetzentwurf der Gesundheit der Bevölkerung in Deutschland nicht zu.
Dabei dürfte Ihnen die verfassungsrechtliche Anfechtbarkeit derartiger Ansichten doch bekannt sein (siehe das „Apotheken-Urteil“ von 1958, wo mit der „Volksgesundheit“ als überragend wichtigem Gemeinschaftsgut argumentiert wird). Ein grundsätzliches „Frackingverbot“ wäre nämlich voraussichtlich und unter Abwägung der Verhältnismäßigkeit ein gerechtfertigter Eingriff in die „Gewerbefreiheit“ (Art. 12 Abs. 1 GG), da die „körperliche Unversehrtheit“ (Art. 2 Abs. 2 GG) und der Schutz der natürlichen Lebensgrundlagen (Art. 20 a GG) einen höherwertigen Verfassungsrang einnehmen, als das Recht der Unternehmen, in missbräuchlicher Inanspruchnahme der Gewerbefreiheit ihren Geschäften nachzugehen.
Auch möchten wir Ihnen angesichts der Bedrohung durch die Folgen der Atomwirtschaft und ihres Menetekels „Asse“ und angesichts der furchtbaren Szenarien im Kontext des Klimawandels weitere Fragen stellen:
- welche Berechtigung hätte noch ein Umweltministerium, wenn es die Gewerbefreiheit höher stellen würde als den Schutz der Umwelt und aller in ihr lebenden Organismen – darunter auch des „Schutzgutes Mensch“ – vor struktureller und konkreter Verletzung durch Noxen inklusive Strahlen?
- Welche Berechtigung hätte noch ein „Bundesinstitut für Risikobewertung“, hätten sämtliche mühsam errungenen Umweltprüfungs- und Umweltschutzgesetze, wenn wir Bürger, wie Sie suggerieren, durch gewerblich betriebene Produktion, Energiewirtschaft, Abfallbeseitigung u.v.m. nur noch völlig zu vernachlässigende Risiken zu erwarten hätten?
- Warum werden die europaweit gültigen Vorgaben der „Aarhus Konvention“ (der Deutschland beigetreten ist) – darunter SUP, UVP, bedingungslose und frühestmögliche Herstellung von öffentlicher Transparenz – im Rahmen dieses vorliegenden Gesetzesentwurfs nicht berücksichtigt?
- Stellen Sie die gesamte mühsam erworbene Umweltschutzgesetzgebung in Frage, nur damit die Förderindustrie ihren Geschäften nachgehen kann? Überwiegende Teile der Bevölkerung lehnen ohnehin diese Hochrisikotechnologie Fracking zutiefst ab, bei der nicht einmal deren wirtschaftliche Berechtigung nach Auswertung aller Erkenntnisse erkennbar ist.
Mit welcher Berechtigung soll dieser ohnehin nur geringe zu erwartende Beitrag zur Deckung des deutschen Energiebedarfs zu einer Niederbringung von 48.000 Bohrungen bis 2050 (UBA Gutachten, Teil 2) mit unabsehbaren Folgen für Gewässer-, Gesundheits- und Naturschutz führen?
Statt gemeinsam mit dem Gesundheitsministerium eine gesetzliche Verbesserung des Schutzes vor Schädigung, beispielsweise durch die unzähligen toxischen Gefahrenpotenziale in der konventionellen und besonders der unkonventionellen Öl- und Gasförderung anzustreben, erklärten Sie zudem noch über den Radiosender NDR- Info: „Ich kann doch Fracking nicht verbieten. Ich weiß doch gar nicht, ob es gesundheitsschädlich ist!“ Gestatten Sie uns dann bitte, nach dem Umkehrschluss zu fragen: Würden Sie, sehr geehrte Frau Ministerin, denn Fracking verbieten, wenn sich ausreichende wissenschaftlich fundierte Nachweise für die Gesundheitsschädlichkeit von Fracking finden?